Schmerz ist ein Signal des Nervensystems. Es dient eigentlich dazu, auf eine Störung oder eine Verletzung aufmerksam zu machen und erfüllt damit eine wichtige Schutz- bzw. Signalfunktion.
Doch nicht immer ist Schmerz notwendig.
In vielen Fällen ist der Schmerz eine Störung im Nervensystem, die die Betroffenen ohne konkreten Grund quält. Ob als Nachwirkung einer längst ausgeheilten Verletzung oder als dauerhaftes Signal aufgrund eines Schadens im Bewegungsapparat - Schmerzen können eine unglaubliche Qual darstellen.
Die Hypnose kann direkten Zugriff auf das Nervensystem nehmen und Schmerzen lindern, teilweise sogar komplett abschalten. Ob zeitweise, während der Dauer eines Heilprozesses oder dauerhaft bei chronischen Schmerzen!
Es gibt zahlreiche Studien darüber, die belegen, dass die Anwendung der Hypnose bei Schmerzzuständen jeder Art eine wertvolle Therapie darstellt. Die zahnmedizinische Hypnose ist mittlerweile sehr weit verbreitet und auch andere Schmerztherapeuten nutzen die Wirkung der Suggestion und der Tiefenentspannung.
Beispiele sind:
- Schmerzen in der Krebstherapie
- Zahnschmerzen bzw. zahnmedizinische Behandlungen
- Fibromyalgie
- chronische Schmerzen (z.B. nach Unfällen)
- psychosomatische Schmerzen
Studie 1: Begleitende Selbsthypnose reduziert Schmerzmittel
Mit Selbsthypnose chronische Schmerzen lindern und Arzneimittel reduzieren. Göttinger Institut für Psychologie wies Medikamentenreduktion zwischen 60 und 75 Prozent nach.
Chronische Schmerzpatienten können mittels verhaltenstherapeutischer Selbsthypnose die Stärke ihrer Schmerzattacken deutlich verringern, so die aktuelle Pressemitteilung der Uni Göttingen, und auch den Einsatz an Medikamenten spürbar reduzieren. Das ist das Ergebnis einer Folgestudie, die mit 28 Schmerzpatienten an der Universität Göttingen durchgeführt wurde.
Die Patienten lernen, sich bei auftretenden Schmerzattacken autosuggestiv in einen Zustand tiefer Entspannung zu versetzen und mindern dadurch den Schmerz. Als Folge können sie nach Angaben von Dr. Stefan Jacobs vom Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, der die Studie leitete, dauerhaft auf 60 bis 75 Prozent ihrer Medikamentendosis verzichten.
Nach Angaben des Wissenschaftlers konnte die Dosis bei Analgetica um 60 Prozent, bei Antidepressiva um 63 Prozent und bei Opiaten sogar um 75 Prozent gesenkt werden. Die Verbesserungen bleiben mehrheitlich auch nach Monaten stabil, wie eine Nachuntersuchung drei Monate später zeigte.
Studie 2:
In Trance empfindet der Patient weniger Schmerzen: Selbst Tumor- und Gesichtsoperationen werden ohne Vollnarkose durchgeführt.
Kieferchirurgische Operation unter Hypnose. Gut sichtbar: Der Patient trägt einen Kopfhörer, über den er die Hypnose-CD hört. Dr. Dr. Dirk Hermes aus der Universitätsklinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie Lübeck. Die Universität zu Lübeck beschreitet neue Wege: Um Patienten eine unangenehme kiefer- oder gesichtschirurgische Behandlung zu erleichtern, werden diese seit kurzem hypnotisiert. In Trance verlieren sie die Angst vor der Behandlung und empfinden deutlich weniger Schmerzen. Während sich medizinische Hypnose in Zahnheilkunde und Psychotherapie bereits etabliert hat, betreten die Lübecker Spezialisten in der Chirurgie damit Neuland. Die Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie (Direktor: Prof. Dr. Dr. Helmut von Domarus) ist die bundesweit erste ihrer Art mit einer eigenen Hypnosesprechstunde.
"Wenn es der Patient wünscht, verzichten wir nicht nur bei ausgedehnten Kieferbehandlungen auf eine Vollnarkose. Auch Tumoroperationen, Abszesseröffnungen und wiederherstellende Eingriffe im Gesicht können in örtlicher Betäubung unter Hypnose durchgeführt werden", erläutert Dr. Dr. Dirk Hermes das spektakulär anmutende Verfahren.
120 Behandlungen bei 101 Patienten zwischen 15 und 87 Jahren haben die Lübecker im vergangenen halben Jahr unter Hypnose vorgenommen. Dabei erlebten nur vier Patienten (3,4 %) keinen Hypnoseeffekt, in zwei weiteren Fällen (1,6 %) kam es nicht zu einer Verbesserung der Behandlungsbedingungen. Bei der übergroßen Mehrheit - exakt bei 95 % aller Hypnosesitzungen - stellten die Chirurgen jedoch Trance-Phänomene fest, die zu einer deutlich stressärmeren Behandlungssituation für Patient und Arzt führten. Die Patienten waren angstfrei und entspannt, hatten seltener unangenehmen Speichelfluss oder Würgereiz und konnten belastende Behandlungspositionen besser tolerieren.
Das Konzept scheint den Chirurgen Recht zu geben: Alle später befragten Patienten mit positiver Trance-Erfahrung würden einer erneuten Behandlung unter Hypnose sofort zustimmen; 18 wurden bereits mehrfach unter Hypnose operiert. Die aktuellsten Daten aus Lübeck zur Wirksamkeit von Hypnose stellt Dr. Hermes beim 16. Europäischen Kongress für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vom 3.-7. September in Münster vor.
60 % aller Frauen und Männer gehen nur ungern zum Zahnarzt. Und weitere 25 % zögern einen Termin so weit es geht hinaus bzw. vereinbaren erst gar keinen mehr. Selbst eine - heute in aller Regel - schmerzfreie Behandlung bleibt oft als schlechte Erfahrung im Gedächtnis. Und allein die Angst vor möglichen Schmerzen macht nachfolgende Therapien noch unerträglicher. "Die medizinische Hypnose, die wir bei unseren Behandlungen zusätzlich zur örtlichen Betäubung einsetzen, eignet sich ideal, diesen Teufelskreis zu durchbrechen", erläutert Hermes.
Mittels Musik und beruhigender Worte gelangen die Patienten in einen entspannten Zustand, während dessen sie sich intensiv zurück liegende, schöne Erlebnisse vorstellen. Die Behandlung, vor der sie sich so gefürchtet haben, rückt in den Hintergrund; Herzschlag, Blutdruck und Atmung normalisieren sich. Die Situation ist vergleichbar mit einem Film, in den der Zuschauer versinkt und die Rückenschmerzen, die der klapprige Kinostuhl verursacht, gar nicht spürt.
Die Requisiten der medizinischen Behandlung können in die Hypnose eingebaut werden und ihre Wirkung noch verstärken: Das OP-Licht suggeriert Sonnenschein, der Speichelsauger Meeresrauschen, und die Abdecktücher täuschen sommerliche Wärme vor. Hermes: "Auf diese Weise kommt es zu einer völligen Umdeutung der Situation. Einem Patienten, dem wir während einer Behandlung 17 Zähne gezogen haben, war in der Hypnose so mit seinem letzten Türkeiurlaub beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie wir mit Zangen und Fräsen in seinem Mund gearbeitet haben."
Viele Patienten können sich nicht oder nur schemenhaft an die Behandlung erinnern. Dabei sind die Betroffenen während der Trance nicht narkotisiert oder gar willenlos. Ganz im Gegenteil: "Gegen seinen Willen kann niemand hypnotisiert werden, alles geschieht in gegenseitigem Einvernehmen. Der Patient ist während der Hypnose wach, ansprechbar und kann aktiv in die Behandlung einbezogen werden. Außerdem ist er jederzeit in der Lage, seine Augen aufzuschlagen und die Trance abzubrechen." Wichtig sei, so Hermes, in ausführlichen Vorgesprächen den Patienten auf Hypnose und Behandlung vorzubereiten.
Der erste Patient, der in der Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie unter Hypnose behandelt wurde, war Hermes selbst. Seine Kollegen entfernten ihm in einem 80minütigen Eingriff zwei im Kiefer verlagerte Weisheitszähne und führten eine Wurzelspitzenresektion an einem oberen Backenzahn durch. "Es war sehr angenehm, selbst kurzzeitig auftretende Schmerzen haben mich nicht gestört. In Trance war ich segeln und fühlte mich entspannt und distanziert von dem, was gerade mit mir geschah."
Anfangs wurden an der Lübecker Uniklinik bevorzugt chirurgische Zahnsanierungen unter Hypnose durchgeführt. Doch das Spektrum hat sich schnell erweitert: So werden nach einem Kieferbruch im Gebiss verankerte Drahtschienen in Trance wesentlich schonender wieder entfernt. Auch der Verschluss von Luftröhrenschnitten erweist sich unter Hypnose als weniger belastend für den Patienten. Und selbst ausgedehnte Tumoroperationen, in dessen Folge Gesichtshaut "verlegt" werden musste, wurden bereits mit nur niedrig dosierter örtlicher Betäubung unter Hypnose ausgeführt. Die bisher längste Lübecker Hypnose-OP dauerte zweieinviertel Stunden.
Um den, so Hermes, "klinisch eindeutig sichtbaren" Nutzen der Hypnose in der Kiefer- und Gesichtschirurgie auch wissenschaftlich zu belegen, werden in Lübeck jetzt zwei Studien aufgelegt: In der ersten Untersuchung werden Zahnbehandlungen unter örtlicher Betäubung verglichen, die teils mit und teils ohne Hypnose durchgeführt wurden. Die zweite Studie geht der Frage nach, ob Hypnose sich günstig auf den Heilungsverlauf auswirkt, die Kieferschwellung etwa geringer ist und der Schmerzmittelgebrauch sinkt.
Quelle: www.uni-protokolle.de
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